Es ist Sonntag morgen um 5 Uhr. Das Thermometer zeigt 4 Grad. Brr!! Die beiden TransAlp Dreamteams Rennmoni & Grundlagenerwin und Supermario & der Checker machen zitternd die Startnummern an ihre Bikes. Gleich wird es ernst…
Der Ötztaler Radmarathon mit 238 km Streckenlänge und 5.500 Höhenmetern ist kein Kindergeburtstag. Das war auch Supermario und mir klar, aber trotzdem wollten wir die 10 Stunden Marke angreifen. Das konnte nur schief gehen…
Dafür das wir uns immerhin eine 3/4 Std. vor dem Start in die Menge einreihten, stehen wir unglaublich weit hinten. Die Startlinie befindet sich knapp 1 km entfernt!! Die Zeit bis zum Start vergeht recht schnell. Langsam bewegt sich die Masse. Hmm, ein Startschuss war nicht zu hören. Die Teilnehmer sind alle ziemlich relaxed. Ob das an der Streckenlänge liegt? 😉
Nach knapp 15 min passieren wir endlich die Startlinie und können auch so langsam in die Pedale einklicken. Ja, der erste Kilometer ging tatsächlich nur im Schneckentempo voran, an Fahren war nicht zu denken.
Jetzt ging es erstmal 30 km leicht bergab. Wenn wir die 10 Stunden knacken wollen, müssen wir jetzt Gas geben. Kette rechts und slalom durch die Menge. Zum Glück ist auch die Gegenfahrbahn gesperrt und man kann links schön an allen vorbeiziehen. Uh, mein Puls ist viel zu hoch… Kaum nehme ich etwas Tempo raus, düsen auch schon Moni und Erwin an uns vorbei. Die beiden sind definitiv im Rennfieber! Supermario und ich hängen uns in den Windschatten. Na wenn das mal gut geht.
Der erste Anstieg kommt schneller als erwartet. Mit angesäuerten Beinen geht es in die Rampe. Uff, ich hab ja schon das größte Ritzel drauf?! Puh, ich platze gleich! Also erstmal anhalten und ausziehen… Regenjacke, Mütze, Handschuhe… Wohin mit dem Kram? Im Trikot stecken bereits mehrere Gels, Riegel, Weste… Unglaublich was so alles in die Trikottaschen passt. Mario muss natürlich erstmal pinkeln. Mit tausenden Zuschauern ist das manchmal gar nicht so einfach. Und es dauert… MARIO!!!
Endlich wieder auf dem Rad zwängen wir uns durch die Menge. Es ist wahnsinnig voll! Man kann unmöglich sein eigenes Tempo fahren. Wir quetschen uns in die kleinsten Lücken und bewegen uns so im Stop & Go Prinzip durch den Strom. Ich komme mir vor wie ein Lachs, der gegen den Strom schwimmt. Diese Tempowechsel kosten natürlich ganz schön Körner. Moni und Erwin haben wir in der Masse verloren.
Plötzlich stoppt der Pulk. Wir stehen vor einer 18% Rampe. Anscheinend fahren hier immer noch einige ohne Compact Kurbel! Ich versuche mich ganz aussen an allen vorbei zu quetschen. Ich feuer meinen Vordermann an, dass er nicht vom Rad steigt und es scheint auch zu funktionieren. Die Meute lässt uns durch. Mario hat weniger Glück. Vor ihm kommt ein Fahrer nicht aus der Pedale und stürzt. Dabei reisst er die ganze Reihe mit zu Boden. Oh je… Mario klettert über den Menschenberg und weiter gehts.
Plötzlich sind wir dann auch schon oben am Kühtal und ab gehts in die Abfahrt. Ui, hier gehts aber schön steil runter…
Ahhh, was ist das?! Mein Vorderrad fängt wie wild an zu wackeln und das Bike schaukelt sich auf. Verdammt, ist der Gabelschaft gebrochen? Vorsichtig steuer ich Richtung Strassenrand und halte an. Ich inspiziere die Gabel, aber ich kann nichts erkennen. Hmm, was nun? Ich fahre noch einmal ein Stück weiter, aber es wird nicht besser. Ist es vielleicht mein Vorderrad? Ich halte noch einmal an. Der Gabelschaft scheint nicht gebrochen zu sein. Aber die Carbonstruktur scheint beschädigt zu sein. Ich erinner mich, Stephan ist sowas auch schon einmal passiert. Die Hochprofilfelge scheint beim Seitenwind das Problem zu verstärken.
Hui!! Da fliegen Moni und Erwin vorbei. Schnell springe ich aufs Bike um den beiden zumindest Bescheid zu geben was los ist. Mario macht sich bestimmt auch schon Sorgen.
Vorsichtig düse ich den beiden hinterher und versuche nähe zu kommen. Vergeblich. Ab 60 km/h fängt mein Bike immer wieder an wie wild zu flattern. Zum Glück sind wir bald im Tal. Im Flachen mache ich jetzt ordentlich Druck und fahre auch bald auf Moni & Erwin auf. Im nächsten Ort steht auch Mario am Strassenrand. Oh je, der hat bestimmt lange warten müssen.
Jetzt geht es über den Brenner. Ich kann mich gut an Stephans Rat erinnern: „Den Brenner gaaanz locker hochfahren!“ Tja, locker kann man das hier nicht nennen. Trotz der 3-6% Steigung fliegen wir mit 35-40 km/h den Berg hinauf.
Hoffentlich kommen wir bald an einem Materialservice vorbei. Mit einem Laufrad mit flacher Felge sollte ich die kommenden Abfahren meistern können. Grr, weit und breit kein Materialwagen zu sehen. Lange geht es nicht mehr bergauf.
Ahh, da steht einer mit Laufrädern. Leider ist das kein neutraler Materialservice, sondern der Teamwagen der belgischen Mannschaft. Aber nachdem ich mein Problem kurz geschildert habe, rolle ich mit einem nagelneuen Easton Vorderrad davon. Leider mit Vollcarbonfelge und Schlauchreifen. Tja, dann darf ich bergab halt nicht soviel bremsen. Und ein Plattfuß war eh nicht eingeplant. hehe.
Der nächste Verpflegungspunkt ist ein Disaster! Rechts und links Häuser und in der Mitte eine Gasse, voll mit wild umher wuselnden Radfahrern. Wie soll man hier durchkommen? Plötzlich steht Mario vor mir und drückt mir eine fette 1,5 L Colaflasche in die Hand. Oh ja, das ist jetzt genau das Richtige! Wir quetschen uns durch die Menge und schaffen es letztendlich auch irgendwie wieder auf die Rennstrecke. Was für ein Chaos!
Jetzt müssen wir den Jaufenpass hinauf, die vorletzte Auffahrt. Es läuft ganz gut und wir machen viele Plätze gut. Das gefällt mir. Bis jetzt sind wir immer noch im Zeitplan und können die 10 Std. knacken. Die Sonne kommt raus und es wird gleich deutlich wärmer. Das Wärmeöl an den Beinen fängt an zu brennen. Oder brennen meine Beine? Mario scheint es gut zu gehen. Wenn man nach den Trainingskilometern geht, müsste Mario mir eigentlich bald wegfahren. Schließlich stehen in seinem Trainingstagebuch fast doppelt soviele Kilometer wie bei mir. Und das liegt nicht daran, dass ich zu faul war die Trainingseinheiten einzutragen. Nein, ich hab einfach nicht soviel trainiert bzw. ich bin nach dem Ironman lieber ab und zu mal in einem Bikepark shredden gewesen. Aber bei so einem langen Rennen hängt ja bekanntlich ziemlich viel von der Tagesform ab und wie man sich unterwegs verpflegt.
Wenn mein Garmin nicht spinnt, dann dürfte es nicht mehr lange dauern und ich liege ausgepowert im Graben. Sowohl Puls als auch die Leistungswerte grenzen an den anaeroben Bereich!! Uff!! Mein Kopf fühlt sich an als ob er gleich platzt. Aber meine Beine fühlen sich noch ganz gut an. Lediglich die Knie machen sich langsam bemerkbar. Aber das scheint an dem dicken Gang zu liegen, den wir seit Stunden drücken. Dicker Gang? Vor einem Jahr habe ich Biker mit Compactkurbeln noch als Weicheier bezeichnet. Jetzt fahre ich selbst mit 34/28 den Anstieg hinauf und bezeichne das als dicken Gang! Und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich das nächste mal sogar eine 32er Kassette montieren würde, um eine höhere Frequenz treten zu können. Weichei? Ist mir egal!!
Es beginnt ein Kampf gegen die Höhenmeter. Wir ziehen unser Tempo durch, aber es fällt uns immer schwerer. Und ein Pass kommt noch! Die zwei Labertaschen hinter uns sind inzwischen auch verstummt. Endlich können wir den Gipfel und die heiss ersehnte Verpflegung sehen! Zwei Redbull bitte!! Ahh, das tut gut. Wir setzen uns in die Sonne und stopfen soviel Bananen und Riegel wie möglich in uns hinein. Wir brauchen Energie. Vor uns liegt der letzte Anstieg mit krassen 1.700 Höhenmetern am Stück!! Das Timmelsjoch kennen wir noch gut von der Transalp, aber hier sind wir den Pass von der anderen Seite gefahren, was wesentlich kürzer und leichter war. Gut 15 Minuten dauerte unsere Rast. Wir wären sicherlich noch eine Weile sitzen geblieben, wenn nicht plötzlich Moni & Erwin am Horizont aufgetaucht wären.
Hektisch humpelten wir zu unseren Bikes und stürzten uns in die Abfahrt. Brr, ist das kalt! Nur nicht zittern, sonst fängt das Bike wieder an zu flattern! Da sich Carbonfelgen und normale Bremsbeläge nicht sonderlich mögen, musste ich mein Bremsverhalten etwas umstellen. Vor jeder „Asphaltine“ 😉 wurde nur einmal kurz und knackig angebremst, um dann mit ordentlich Restspeed durch die Kurve zu düsen. Der Schlauchreifen fühlte ich nach deutlich mehr Grip an. Das Kreischen und der Gestank der verbrannten Bremsbeläge verdrängte meine Befürchtungen, ob wohl die Gabel die ruppigen Bremsmanöver aushält.
Irgendwann waren wir dann auch im Tal angekommen. Puh! Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich einmal so sehr danach sehnen würde, dass eine Abfahrt vorbei ist.
Kaum im Tal angekommen, ging es auch gleich wieder ordentlich zur Sache. Mit knapp 8-10% wurde schnell klar, dass die letzte Auffahrt zum Timmelsjoch kein Vergnügen wird. Ich habe die Strecke von der TransAlp noch grau in Erinnerung. Aber da sind wir genau andersrum gefahren, d.h. die schöne lange Abfahrt müssen wir jetzt hinauf. Wir sind noch gut dabei und ziehen mit ordentlich Druck an vielen Fahrern vobei. Ob wir dieses Tempo wohl die nächsten 1.700 Höhenmeter durchhalten? Die Steigung ist ganz schön heftig. Wenn das so weiter geht platzen meine Oberschenkel. Oder meine Knie! Jetzt hätte ich nix gegen ein 32er Weichei Ritzel.
Nach einem Drittel entscheiden wir uns auf einer schönen Wiese für eine kurze Pause. „Mario, sag wenn du weiter willst…“ Uh, hätte ich das mal nicht gesagt. Das hört sich ja an, als ob wir nur für Mario die Pause machen. Und kaum hatte ich den Satz beendet, kletterte Mario auch wieder aufs Bike und rief: „Weiter!“ Mist!
Die Pause hätten wir uns aber auch sparen können, denn hinter der nächsten Kehre kam ein Flachstück. Ah, das tut gut! Die nächsten Kilometer waren nicht mehr so steil und fuhren sich deutlich angenehmer. Die Hälfte der Höhenmeter sind inzwischen geschafft. Supermario sieht allerdings auch etwas geschafft aus. Jetzt wurde es auch wieder unangenehm steil. Unser Dialog wurde zum Monolog, bis ich schließlich auch irgendwann verstummte. Jetzt hätte ich gern einen saftigen Hamburger oder eine salzige Bretzel. Aber bitte keine süßen Gels mehr! Aber meine Trikottaschen waren inzwischen eh alle. Ich wollte Mario mein Redbull geben, aber auch das hatten wir bereits vernichtet. Auf meine Frage, ob ich ihn ein Stück schieben soll hauchte er nur „Fahr doch!“
Oh je… Ein paar Kilometer müssen wir noch! Aber Mario quält sich tapfer die scheinbar unendlich vielen Kehren hinauf. Wir sind auch immernoch gut unterwegs. Jedenfalls überholt uns so gut wie keiner. Aber dieser Anstieg ist auch heftig. Irgendwie sehen ALLE grau aus. Ich spüre noch ganz gut Druck in den Beinen. Aber bei jeder falschen Bewegung zucken auch meine Muskeln, ein Vorbote fieser Krämpfe.
Um etwas Zeit zu schinden machen wir keinen Boxenstop an der letzten Verpflegung. Um unsere Energiespeicher wieder aufzufüllen würde Stunden dauern. Also versuchen wir es gar nicht erst. Unsere Pullen sind noch fast voll, das muss reichen. Mario grummelt etwas unzufrieden als wir die Verpflegung passieren, aber kurbelt wie eine Maschine kontinuierlich weiter. „Ist nicht mehr weit!“ Hoffentlich schaut er jetzt nicht wieviel Höhenmeter noch vor uns liegen…
Es ist immer wieder erstaunlich, wie sehr man sich quälen kann und stumpf in die Pedale tritt, obwohl man eigentlich schon seit Kilometern keine Kraft mehr hat. Irgendwann sind wir dann auch tatsächlich am Gipfel. Puh!! Schnell noch ein Foto und dann stürzen wir uns ins Tal nach Sölden ins Ziel.
Brr!! Ist das Kalt!! Nach nur wenigen Kehren muss ich erstmal anhalten und mir meine Jacke und Handschuhe anziehen.
Was ist das?! Hinter der nächsten Kehre geht es auf einmal wieder bergauf! Grr!! Stimmt, da war doch noch ein „kleiner“ Gegenanstieg. Auch mein Tritt ist jetzt nicht mehr so ganz rund. Bei einer kurzen Pinkelpause geniessen wir die Aussicht und freuen uns auf die warme Dusche.
Die letzte Abfahrt lieferte noch ein paar kleine Überraschungen und machte Mario entgültig mürbe. Aber Supermario macht noch einmal seinem Namen alle Ehre und holt sich im letzten Sprint des Tages das Ortsschild Sölden. Aber Mario mobilisierte wirklich seine allerletzten Kräfte und hat die lange Gerade bis ins Ziel nicht eingeplant. Am ersten „Zielbogen“ im Ort wollte er bereits vom Rad steigen. „Weiter Mario!“ Seine Antwort war nur ein unverständliches Gefluche.
Normalerweise schwebt man bei so einer Veranstaltung auf den letzten Metern ins Ziel. Das Glücksgefühl war da, aber nach über 11 Stunden auf dem Bike mussten wir heute aufpassen nicht in den Graben zu schweben. Die letzte Kurve und wir rollen ins Ziel. Puh, wir haben es geschafft!! Das war wirklich ganz schön hart!
Ich stehe auf einer kleinen Mauer und warte auf Moni & Erwin. Uh, ich glaube ich setzte mich lieber. Ähnlich wie nach dem Ironman ist mein Kreislauf ganz schön im Eimer. Ich fange an zu zittern. Hoffentlich muss ich nicht so lange auf die beiden warten. Aber da sind sie auch schon. Unglaublich stark gefahren sind die beiden! Da hätten wir ja fast zusammen fahren können.
Nach der warmen Dusche fühle ich mich schon viel besser. Jetzt schnell das Finishertrikot abholen und dann was futtern!!
Die Auswertung ist recht unübersichtlich. Da sammeln sich einfach unglaublich viele Daten auf der langen Strecke an. Laut GPS sind wir „nur“ 226 km gefahren. Und wir haben fast eine Stunde Pause gemacht! Wahnsinn!
Bis zum Jaufenpass hatten wir noch über 200 Watt im Schnitt getreten. Wir haben also am Timmelsjoch ganz schön die Beine hängen lassen…
Diese lange Strecke hat uns die letzten Kraftreserven geraubt. Ich bin froh, dass wir es geschafft haben. Aber wie nach dem Ironman hätte ich gern eine schnellere Zeit auf der Urkunde stehen. Naja, heute war auch etwas der Wurm drin. Durch mein Materialproblem haben wir viel Zeit verschenkt. Das nächste mal würde ich mich auch viel früher = viel weiter vorn an die Startlinie stellen. Dann erspart man sich die Energie raubenden Tempowechsel und die nervigen Stehversuche am Berg. Ausserdem kann man „gemütlich“ in der Gruppe lutschen und muss nicht ständig im Wind fahren.
Ach ja, die Verpflegungen sind dann bestimmt auch nicht so überlaufen. An den Verpflegungen habe ich übrigens PowerBars und Gels vermisst, und anständiges Iso. Das Radler-Iso hilft zwar furchtlos den Berg hinunter zu rasen, aber wenn man zu viel trinkt, landet man mit Sicherheit im Graben.
Aber das wussten wir bereits vor dem Start und daher haben wir uns die Trikottaschen mit so viel Energie wie möglich vollgestopft.
Futter Mario (oben) und Alex (unten)
Wenn man die Kalorien zusammen zählt, wird schnell klar, warum Mario das kleine Energieloch am Timmelsjoch hatte 😉
Das war schon ein schönes Erlebnis. Für Supermario und mich steht der Ötzi schon jetzt fest im Terminkalender für die nächste Saison. Mit der TransAlp als Vorbereitung, was kann da schon schief gehen?!
Eine Antwort auf Ötzi Höllentour 2010